Ich erinnere mich noch gut an einen sehr speziellen Besuch im Deutschen Historischen Museum Berlin: Im Winter 2003 gastierte dort die Wanderausstellung „X für U – Bilder, die lügen“ der Bundeszentrale für politische Bildung (einen Eindruck der dort vorgestellten Themen bietet z.B. Daniela Schmalfelds Arbeit [M] – Politische Bildmanipulation).
„Prima, das passt ja!“ dachte ich mir damals. Denn im Rahmen meiner Arbeit sollte ich drei Projektmitarbeiter/innen und einer Praktikantin Grundzüge des Journalismus in Text und Bild vermitteln.
Und dann, in der Ausstellung, passierte es: Die Praktikantin tickte aus. Mitten im Publikum und zwischen Schautafeln, die sehr anschaulich Bereiche wie Manipulation durch Retusche oder Bildschnitt von historischen Aufnahmen bis zur Yellow-Press darstellten. Sie wisse doch, was sie sehe, das sei doch Schwarz auf Weiß zu erkennen! Nein, das glaube sie nicht und es sei eine Frechheit zu behaupten, dass das Bild da, das sie aus den Medien kenne, nicht die Wahrheit zeige! – Immer lauter wurde sie, zwischen erst erschrockenen, dann ängstlichen und schließlich empörten anderen Besuchern. Verwirrung allseits: Was passierte da gerade?
Fotos lügen nicht! – Oder?
Was passierte, war, dass sich jemand in seinen Grundfesten erschüttert sah – und deswegen vor aller Augen schreiend und schließlich schluchzend zusammenbrach. Wenn ich nicht mehr glauben kann, was ich sehe, worauf soll ich mich dann noch verlassen? – Ich habe die aufgelöste Frau erst mal versucht zu beruhigen und ohne weitere Zwischenfälle hinausgeführt. Und ihr gesagt, wenn sie sich nicht wohl oder sogar bedroht fühle von der Erkenntnis, dass Gedrucktes nicht automatisch wahr ist – auch Bilder nicht -, könne ich das gut verstehen.
Fotojournalismus: Was darf ich, und was ist überhaupt Objektivität?
Nicht, dass die Frage „Was darf ein Fotojournalist?“ seit hundert Jahren irgendwie an Aktualität verloren hätte: Anlässlich der diesjährigen Vergabe des World Press Photo Award für das beste Pressefoto des Jahres wurden schon im Vorfeld ein Fünftel der eingereichten fast 100.000 Bilder disqualifiziert – wegen zu starker technischer Bearbeitung. Und ein Preis wurde nachträglich wieder aberkannt, da die Beschriftung irreführend gewesen sei; Streit gab es auch darum, ob bzw. wie viel Inszenierung bei Pressefotos noch im Rahmen sei.
FREELENS Position zum Fotojournalismus
„Die Fotografie ist immer eine subjektive Momentaufnahme des Geschehens durch den Fotografen, auch wenn viele Betrachter glauben, dass das, was sie auf dem Foto sehen, die Wahrheit darstellt.“ – So leitet der renommierte Berufsverband FREELENS für Fotojournalisten und Fotografen seine eben veröffentlichte eigene „Position zum Fotojournalismus“ ein.
Wie erreicht man größtmögliche Objektivität, wie geht man mit Befangenheit um? Wie viel Einflussnahme des Fotografen darf sein, und wie steht es mit der Manipulation durch Dritte? Welche Bedeutung hat die Bildbeschriftung, und, nicht erst seit den Möglichkeiten der digitalen Bildverarbeitung wichtig: Welche Arten und welcher Umfang der Bearbeitung sind vertretbar? Denn als Fotograf/in bzw. Fotojournalist/in habe ich Verantwortung – sowohl gegenüber den Abgebildeten, als auch gegenüber der Öffentlichkeit.
Die liebe Praxis
Nicht nur bei den Profis aus dem öffentlichen Leben verflüchtigt sich ja die vermeintliche Objektivität gerne mal nur allzu rasch: Klick-klick-klick positioniert sich eine medientrainierte Politikerin im besten Licht, eins-zwei-fix verwandelt sich ein Profisportler vom erschöpften Kämpfer in einen in die Kameras strahlenden Sieger. Aber auch die Kids von der Straße posieren hastenichtgesehen in einer gruppenfoto-gerechten Pyramide. Echt? Gestellt?
Und was mache ich dann – verlange ich „Gucken Sie doch mal natürlich!“ oder muss die Bildunterschrift „Die Kinder haben die Fotografin entdeckt“ her? Von der Frage, ob ich die Kinder fotografieren darf, mal völlig abgesehen …
– Danke an dieser Stelle an die Kolleg/innen von FREELENS, die aus ihrer Erfahrung heraus sehr gute Gedankenanstöße geben über den Umgang mit den Untiefen des Fotojournalismus!
Und, wenn Sie möchten: Diskutieren Sie mit – ich freue mich über Kommentare.